Welches Unternehmen transportiert die Pakete für die Berliner Behörden? Was kostet der Bau der neuen Messehalle? Warum verzögert sich die Einführung des abhörsicheren Polizeifunks? Wie gut hält sich die Landesregierung an einen Umwelt-Beschluss des Abgeordnetenhauses? Was unternimmt die Straßenbahn gegen zerkratzte Fensterscheiben? Am Freitag konnte ich in der Reihe „Computer & Recherche“ auf dem Jahrestreffen des Netzwerk Recherche in Hamburg auf einem Workshop zeigen, wie ich dank der Datenbank mit den europaweiten Ausschreibungen die Antworten auf diese Fragen beantworten und aufschreiben konnte.
Meine Präsentation bestand dabei aus zwei Teilen: Erstens aus vielen Praxis-Beispielen und zweitens aus dem Hintergrund über das Vergaberecht. Meine Folien zum Vergaberecht gibt es hier zum Download als PDF. Und hier nun die Beispiele und eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Datenbank mit den Ausschreibungen:
Anfang Januar 2009 fragten wir uns in der Berlin-Redaktion der taz, wie das Land Berlin eigentlich seine Pakete transportiert. Kurz zuvor hatten zwei Angestellte eines privaten Zustelldienstes ein Paket mit tausenden Kreditkartendaten an die Frankfurter Rundschau geschickt statt an die Landesbank Berlin. Der Skandal war groß, viele Medien berichteten. Das Landesverwaltungsamt Berlin antwortete recht einsilbig: Die Pakete der Berliner Behörden würden „sicher“ transportiert, alles laufe sehr gut. Wir schauten daher bei den Ausschreibungen nach. Das Land hatte Paketzustellung am 12. April 2007 ausgeschrieben (PDF) und das Ergebnis der Ausschreibung am 4. Oktober 2007 veröffentlicht (PDF). Daraus ergab sich, dass die Pakete von der Menütaxi GmbH zugestellt werden und die dafür 1,99 Euro pro Paket erhalten. Bei dem Unternehmen wollte sich niemand mit uns darüber unterhalten, wie gut die Mitarbeiter qualifiziert sind und wie viel Geld sie verdienen, aber in dem auf www.unternehmensregister.de veröffentlichten Geschäftsbericht (PDF) fanden wir die Information, dass die meisten Mitarbeiter auf 400-Euro-Basis arbeiten. Das gab nun genügen Anhaltspunkte, um nochmal nachzufragen und einen Artikel zu schreiben.
Am 19. Mai 2009 veröffentlichte die Gesellschaft für soziale Unternehmensberatung mbH eine Ausschreibung (PDF), in der sie ein Unternehmen suchte, das eine Personalvorauswahl für Callcenter vornimmt: Veröffentlichung von Stellenangeboten, Prüfung der eingehenden Bewerbungen, Assessment Center mit den Bewerbern. Auftragsvolumen: bis zu 115.000 Euro pro Halbjahr. Ich fragte mich, was dahinter steckt und warum diese Personalauswahl aus öffentlichen Geldern bezahlt wird. Die Nachfragen ergaben: Es handelt sich um eine Maßnahme zur Wirtschaftsförderung und richtet sich an Unternehmen, die sich neu in Berlin ansiedeln wollen. Vermittelt werden ausschließlich Arbeitslose. Finanziert wird dies aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Landes Berlin. Besondere Sozialstandards müssen die Callcenter, die von dem Angebot profitieren wollen, nicht einhalten. Vermittelt wird unter anderem zum Quelle-Callcenter, bei dem viele Beschäftigte einen Stundenlohn von knapp über 6 Euro erhalten. In einem Artikel schrieb ich das auf und kommentierte: Ein rot-roter Senat, der Mindestlohn fordert, sollte keine Dumpinglöhne fördern.
Am 30. August 2008 veröffentlichten die Berliner Verkehrsbetriebe eine Ausschreibung (PDF) über „selbstklebende Folien aus Kunststoff“. Die grün getönten Folien sollen auf Fenster der Fahrzeuge geklebt werden, um dort die Folgen von mutwilligen Beschädigungen durch Fahrgäste („Scratching“) zu verringern. Daraus machten wir eine Kurzmeldung. Die Berliner Zeitung griff das Thema später auf und erweiterte es zu einem Lokal-Aufmacher.
Am 3. Dezember 2008 veröffentlichte die Polizei, dass sie das Vergabeverfahren über den Einkauf von „Funksendegeräten mit eingebautem Empfangsgerät“ eingestellt hat (PDF). Laut dem Text der ursprünglichen Ausschreibung (PDF) wollte das Land Berlin „als eines der ersten Länder (…) im zweiten Halbjahr 2008 mit der Migration von Analog- auf Digitalfunk beginnen“, also den Polizeifunk abhörsicher machen. Die Nachfrage ergab: Ein unterlegener Bewerber hatte das Ergebnis der Ausschreibung angefochten, das Verfahren musste neu gestartet werden. Ein Kollege schrieb darüber, dass sich die Einführung des Digitalfunks durch diesen Fehler der Polizei verzögert.
Im Februar 2008 fasste das Landesparlament einen Beschluss (PDF), laut dem Landesregierung und landeseigene Unternehmen ab Juni 2008 bei allen Ausschreibungen auch ökologische Zuschlagskriterien zu berücksichtigen haben. Anfang 2009 schauten wir nach, wie dieser Beschluss umgesetzt wird – und wälzten uns dafür durch alle 109 Ausschreibungen, die die einzelnen Senatsverwaltungen zwischen Juni und Dezember veröffentlicht hatten (Übersicht als xls.-Datei). Ich schrieb dann am 15. Januar darüber, dass die Vorgaben kein einziges Mal eingehalten wurden. In einem zweiten Text ging es darum, wie solche ökologischen Zuschlagskriterien bei einer Strom-Ausschreibung aussehen können und dass Finanzsenator Thilo Sarrazin beim Einkauf von Strom für die Verwaltung keine solchen Öko-Vorgaben machen will – damit hat Ökostrom schlechte Chancen. Zu dem Thema folgten dann noch eine ganze Serie von Artikeln. 19. Januar: Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit fordert genau wie CDU, BUND und die Klima-Allianz, dass Sarrazin den Beschluss des Abgeordnetenhauses berücksichtigen solle. Doch der bleibt hart. 21. Januar: Sarrazin lenkt für die Stromausschreibung ein – der Beschluss wird damit erstmals eingehalten. 9. Februar: Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dagegen, die für die allermeisten Ausschreibungen zuständig ist, will auch weiterhin keine ökologischen Zuschlagskriterien: Der Beschluss des Landesparlament sei lediglich eine unverbindliche Vorgabe, der Senat müsse sich nur an formale Gesetze halten. Ich kommentierte, dass das Parlament seine Selbstachtung verliert, wenn es sich das gefallen lässt. 10. Februar: Die Umweltsenatorin fordert die Stadtentwicklungssenatorin auf, künftig bei ihren Ausschreibungen ökologische Zuschlagskriterien vorzugeben. 6. April: Die landeseigene Stadtreinigung BSR und die landeseigenen Kliniken Vivantes halten sich ebenfalls nicht an die Vorgaben. Kommentar: Da sollten sie sich besser Finanzsenator Sarrazin zum Vorbild nehmen. 23. April: Das Ergebnis der Strom-Ausschreibung ist da: Dank der Öko-Kriterien ist es reiner Ökostrom von Vattenfall geworden. 16. Mai: Die Umweltsenatorin, die im Aufsichtsrat der Stadtreinigung BSR sitzt, will sich dort nicht dafür einsetzen, dass das Unternehmen künftig ökologische Zuschlagskriterien vorgibt: Der Aufsichtsrat sei nicht befugt, derart in das operative Handeln der Geschäftsführung einzugreifen. Außerdem stellt sich heraus: Vattenfall liefert dem Land Berlin keinen Ökostrom im engeren Sinne, sondern seinen normalen Strommix, der allerdings mit EECS-Zertifikaten grün angestrichen wird.
Am 9. Mai 2009 veröffentlichte die landeseigene Messe Berlin GmbH eine Ausschreibung (PDF), mit der sie einen Architekten für den Bau einen neuen Messehalle suchte. Bis dahin war noch nicht öffentlich bekannt, dass die Halle rund 45 Millionen Euro kosten soll und eine Hauptnutzungsfläche von 18.000 Quadratmetern erhalten soll. Wir machten eine Meldung daraus.
Der Wert von Ausschreibungen für Journalisten
Der große Vorteil der Ausschreibungen ist, dass gesetzlich festgelegt ist, wann und in welcher Form Behörden eine Ausschreibung veröffentlichen müssen. Ausschreibungen sind daher eine gute Ergänzung zu Pressemitteilungen, weil man darin auch über Vorgänge erfährt, über die eine Behörde nicht von selbst eine Pressemitteilung herausgibt. Oft wird auch nach dem Abschluss des Verfahrens veröffentlicht, wer den Auftrag bekommen hat und für wie viel Geld der Auftrag vergeben wurde. Und nicht nur Behörden müssen ihre Aufträge ausschreiben, sondern auch andere öffentliche Auftraggeber (Details zu der Frage, wer wann was ausschreiben muss, gibt es in der bereits oben verlinkten Präsentation (PDF).
Tenders Electronic Daily: So können Journalisten Ausschreibungen finden
Großes Lob an die EU: Die Ausschreibungen werden in einer Form veröffentlicht, die das systematische Durchsuchen besonders leicht macht und keine Wünsche offen lässt. Das Portal für die europaweiten Ausschreibungen ist http://ted.europa.eu/. Dort kann man sich mit einem Benutzernamen und einer Mailadresse kostenlos registrieren. Nachdem das Benutzerkonto mit einer Mail freigeschaltet wurde, kann man sich einloggen. Zur Suche nehme ich immer die „Erweiterte Suche“. Und so sieht das Suchfeld aus (Bild anklicken, um es zu vergrößern):
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Wichtig ist die Einstellung des Suchbereichs. Eine Suche unter „Letzte Ausgabe“ umfasst lediglich die Ausschreibungen eines Tages, es empfiehlt sich daher die Suche im Archiv. Die Rubriken, die ich für die Suche meistens nutze, sind Ort (z.B. Berlin), Name des Auftraggebers (z.B. Vattenfall) oder Volltext (z.B. Gutachten). Auf der folgenden Seite werden die Ergebnisse angezeigt und man kann auch eine Suche speichern:
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Um die Suche zu speichern, kann man im nächsten Schritt ein Namen für das Suchprofil eingeben. In der Liste „Gespeicherte Suchprofile“ (links im Menü) kann man dann einstellen, wie man über neue Ergebnisse informiert werden möchte:
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„News Alert“ bedeutet dabei, dass man per E-Mail benachrichtigt wird, sobald ein neuer Treffer vorliegt. Zudem kann man einstellen, wie schnell man dann benachrichtigt wird – täglich, wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich. Man kann seine individuellen Suchergebnisse auch per RSS abonnieren.
Ich selbst habe mir ein Suchprofil eingestellt, das relativ breit definiert ist: Ich bekomme alle Aufträge, die Berlin betreffen. Das umfasst die Aufträge von Bezirken, Landes- und Bundesbehörden und es sind meist so zehn bis zwanzig Ausschreibungen pro Tag. Ich scanne jeweils nur ganz kurz über Auftraggeber und Kurzbeschreibung und entscheide dann, ob ich weiterlese. Meistens lese ich nicht weiter und ich bin dann recht schnell durch. Die meisten Ausschreibungen sind für den journalistischen Gebrauch irrelevant, es geht da etwa um die Renovierung von Turnhallen, um den Einkauf von Druckern für ein Bezirksamt oder den Kauf von irgendwelchen technischen Geräten für wissenschaftliche Forschungseinrichtungen. Manche Bauprojekte werden auch in zig Teilaufträge aufgesplittet, die dann über Wochen einzeln veröffentlicht werden – so etwa der Umbau des Flughafens Schönefeld oder der Wiederaufbau des Ostflügels des Berliner Museums für Naturkunde.
Man darf als Journalist, der dieses Instrument nutzen will, keine Scheu davor haben, sich durch eine große Menge von ziemlich trocken geschriebenen Ausschreibungstexten zu arbeiten und dabei auch ziemlich viel umsonst zu lesen. Dafür winken dann auch einige Perlen – also Vorgänge von öffentlichem Interesse, auf die man anders nicht aufmerksam geworden wäre und auf die einen die Behörde auch selbst nicht hingewiesen hätte. Und davon gibt es mehr als genug: Vielen Sachen können wir nicht nachgehen, einfach weil in der tagesaktuellen Produktion die Zeit dafür fehlt. Dann konzentrieren wir uns auf das, was uns interessiert – und andere Themen, die vieleicht genauso relevant wären, fallen hinten runter. Ich bin davon überzeugt: Die Ausschreibungen bieten so viel Stoff – es kann gar nicht genug Journalisten geben, die da ein Auge drauf haben.
kontaakt

2 Comments

  1. Dieser Workshop war ein echtes Highlight der wunderbaren nr-Tagung. Praxisnah, ungewöhnlich, pfiffig, informativ und unterhaltsam. Vielen Dank!

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