Ist erlaubt: Nicht autorisierte Interviews drucken – Journalismus & Recherche

Der Freitag schreibt auf seiner Webseite:

Eigentlich sollte hier ein Interview mit der MDR-Redakteurin Meike Götz stehen. Das Gespräch fand am Dienstag vor acht Tagen in Berlin statt. Es dauerte 75 Minuten bei laufendem Aufnahmegerät (…) Eine Autorisierung hat der MDR, trotz anders lautender Ansagen, bis Redaktionsschluss hinausgezögert. Rechtlich besteht diese Möglichkeit; den Text trotzdem abzudrucken, obwohl er den Wortlaut der Unterhaltung wiedergibt, könnte indes Kosten verursachen, die für den Freitag zu hoch sind.

Dieser Glaube ist im Journalismus weit verbreitet. Aber er ist falsch. Man darf Interviews drucken, die nicht autorisiert wurden. Es drohen dann keinerlei Kosten.
Es gibt zwar keinen Paragrafen, in dem man das nachlesen kann. Aber den braucht es ja auch nicht: In Deutschland ist alles erlaubt, was nicht verboten ist. Wenn ein Interviewpartner vor Gericht gegen das abgedruckte Interview vorgehen wollte, müsste er eine juristische Grundlage dafür nennen. Doch die wird er nicht finden. Es gibt keinen Paragrafen, der Journalisten verbietet, die Wahrheit zu berichten. Welche Szenarien sind denkbar? Wie könnte der Interviewpartner versuchen, ein Verbot des Abdrucks und/oder eine Schadensersatzzahlung durchzusetzen? Er könnte natürlich behaupten, die Zitate wären falsch und er hätte das nie gesagt. Die Zeitung muss dann beweisen, dass die Zitate wirklich gefallen sind. Dank des Tonbands wird das problemlos gelingen. Natürlich darf die Zeitung dann nur Zitate drucken, die im Gespräch ganz genau so gesagt wurden. Das übliche Redigieren eines Interviews ist dann nicht möglich. Ein Wort für Wort wiedergegebenes Gespräch liest sich aber nicht so gut. Daher bietet es sich an, einen normalen Fließtext zu schreiben, in dem man dann die Aussagen des Interviewten wiedergibt. So, wie sie auf Tonband sind.

Der Interviewte könnte alternativ versuchen, darauf zu verweisen, dass die Autorisierung aber versprochen wurde. Auch damit hätte er aber vor Gericht keinen Erfolg. Es gibt keinen Paragrafen, der es verbietet, Versprechen zu brechen. Manche juristisch besonders bewanderte Interviewpartner schließen daher einen schriftlichen Vertrag, in dem die Autorisierung vereinbart wird, und vereinbaren darin eine Strafzahlung bei Vertragsbruch. Wenn der Journalist vor einem Interview solch einen Vertrag unterschreibt, dann – und nur dann – muss er hinterher den vereinbarten Betrag zahlen. Sonst nicht.

In der taz haben wir zum Beispiel mal bei einem Interview mit der Fußball-Nationalspielerin Lira Bajramaj das Gespräch in der autorisierten Fassung abgedruckt – und unten drunter zusätzlich einige ausdrücklich nicht autorisierte Zitate. So erfuhren die Leser, was Bajramaj über Uli Hoeneß gesagt hatte: „Der weiß doch noch nicht einmal, dass dieses Jahr Frauen-WM ist.“ Wir druckten zusätzlich auch die Begründung ihres Managements ab, warum dieses Zitat nicht gedruckt werden darf: „Über den FC Bayern darf man nichts sagen.“ Bei einem anderen nicht autorisierten Zitat sprach Bajramaj über Zinedine Zidanes Kopfstoß beim WM-Finale: „Wenn man schon Rot kriegt, dann würde ich ihm auch gleich richtig die Nase brechen.“ Die von uns mit abgedruckte Begründung des Managements, warum diese Aussage nicht hätte erscheinen dürfen: Das würde eine Lady nie sagen.
Eine Klage von Bajramaj gegen den Abdruck der Zitate wäre juristisch aussichtslos gewesen. Sie hat es auch gar nicht erst versucht. Beim Medium Magazin gibt es weitere Beispiele für Redaktionen, die so gehandelt haben. Soweit die reine Betrachtung der Rechtslage. Das ist aber noch keine Empfehlung für die Praxis. Man muss ja nicht immer alles machen, was auch erlaubt ist.

Grundsätzlich gilt: Es sollte für jeden Journalisten eine selbstverständliche Ehrensache sein, sich an seine Versprechen zu halten. Die Autorisierung ist sinnvoll für beide Seiten. Sie ermöglicht es Journalisten, ein Interview umfangreich zu bearbeiten, es also zum Beispiel stark zu kürzen und es verständlich zu machen. Das geht natürlich nur, wenn der Gesprächspartner am Ende nochmal die Möglichkeit hat, draufzuschauen und sicherzustellen, dass er richtig wiedergegeben wird und dass nichts aus dem Zusammenhang gerissen wird. Deshalb vereinbare auch ich Autorisierungen. Ich schicke die Texte vorab an meine Gesprächspartner und verhandele regelmäßig und reibungslos über die Formulierungen mit jenen, die dabei das gleiche Anliegen haben wie ich: Das Gespräch verständlich und fachlich korrekt wiederzugeben.

Es gibt aber auch Interviewpartner, die sich an diesen Sinn der Autorisierung nicht halten. Sie missbrauchen sie, um das Gespräch völlig neu zu schreiben, um eindeutig gefallene Aussagen zu streichen oder um sogar das gesamte Interview zurückzuziehen. Wenn ein Gesprächspartner in solch gravierender Weise die Regeln bricht, dann frage ich mich, warum ich mich an die Vereinbarung eigentlich noch gebunden fühlen sollte. Um den Gesprächspartner nicht zu verärgern!, würden jetzt viele Journalisten sagen. Sie fürchten, dass die Person ihnen nie wieder ein Interview geben könnte. Hä?? Warum sollte ich in Zukunft nochmal ein Interview mit jemandem führen wollen, der nicht dazu steht, was er sagt? Warum sollte ich mit jemandem reden, der mich als Instrument seiner PR-Strategie verwendet? Der will, dass ich mich mit ihm gegen meine Leser verbünde, indem ich denen verschweige, was ich erfahren habe? So jemand soll sich für seine „Interviews“ in Zukunft bitte andere Journalisten suchen, ich stehe als sein Fußabtreter nicht zur Verfügung. Aber was ist mit Leuten, die partout nicht mit einer bestimmten Aussage zitiert werden möchten? Ganz einfach: Sie sollten diese Aussage gar nicht erst machen. Es ist auch niemand gezwungen, in einem Interview auf alle Fragen zu antworten. Wer nichts sagen will, der sollte einfach sagen: „Dazu möchte ich nichts sagen.“ So ist sichergestellt, dass keine andere Aussage abgedruckt wird. Aber ein Gesprächspartner sollte nicht erst etwas zu mir sagen und dann verlangen, dass ich das alles verheimliche. Ich bin nicht der Komplize der Interviewten, sondern der Komplize meiner Leser.

Sebastian Heiser arbeitet als taz-Redakteur