Monat: November 2009

  • Journalismus & Recherche » Blog Archive » Der Schavan-Plan zur Atomkraft

    Wie geht man eigentlich mit so etwas um, wenn man mehr Zeit hat? Ich habe gerade keine, aber ein Bekannter hat mir eben die ominöse Studie aus Schavans Forschungsministerium zugeschickt, die Schavan angeblich zurückhält.

    Ich sage mir: Wenn ich die schon per Email bekomme, steht sie bestimmt sowieso schon im Netz, wird hoch und runtergetwittert und über Plattformen wie Slideshare verbreitet. Und ein PDF-Dokument, das mit „Zum vertraulichen Gebrauch“ gestempelt ist, das muss man doch einfach weiterverbreiten, Urheberrecht hin oder her.

    Also, hier ist es, das „Konzept für ein integriertes Energieforschungsprogramm für Deutschland“. Mit den brisanten Stellen, die die Atompolitik-Pläne Schavans und einer CDU-geführten Regierung ohne bremsenden Koalitionspartner offenbaren.

    Tags: Acatech, Annette Schavan, Atomenergie, Atomkraft, Atomstudie, Bundesforschungsministerin, Bundesregierung, CDU, Forschungsministerium, Kernkraft, Leopoldina

  • Journalismus & Recherche » Blog Archive » Baumdaten: UIG trifft CAR

    Erstmals sind für Berlin die Rohdaten öffentlich, aus denen der Waldzustandsbericht erstellt wird. Um an die Daten zu gelangen half das Umweltinformationsgesetzes (UIG), mit Hilfe von Computer-assisted Reporting (CAR) entstand ein Artikel daraus. Kernaussage: Den Bäumen im Osten Berlins geht es etwas schlechter als denen im Westen der Stadt. Das war vorher noch nicht bekannt, denn der offizielle Bericht, der aus den Rohdaten erstellt wird, enthält nur Angaben über den Zustand der Bäume in Berlin insgesamt und differenziert nicht nach einzelnen Regionen. Anhand der Rohdaten – eine Datei im Excel-Format mit Angaben über alle 984 einzelnen Bäumen, die die Förster untersucht haben – war erstmals eine Differenzierung zwischen den Bäumen im Westen und Osten der Stadt möglich. Da die Rohdaten auch in anderen Bundesländern bisher noch nie veröffentlich wurden, folgt nun die Chronologie der Recherche für Kollegen, die das in anderen Bundesländern wiederholen möchten.

    Die Idee zu der Recherche entstand am Freitag, den 13. Juni 2008, auf der Jahreskonferenz des Netzwerk Recherche in Hamburg, und zwar in dem Workshop zu „Computer Assisted Reporting“ (CAR) mit Sebastian Moericke-Kreutz von dpa RegioData. Er erwähnte dort, dass jährlich ein Waldzustandsbericht erstellt wird, aber die Rohdaten dazu bisher noch nicht veröffentlicht worden seien. Am darauffolgenden Montag schaute ich zunächst in den aktuellen Berliner Waldzustandsbericht und fragte dann bei der Senatsverwaltung (so heißen in Berlin die Landesministerien) für Stadtentwicklung an, der die Berliner Forste unterstellt sind. Ich fragte, ob dort die Rohdaten vorliegen und kündigte an, einen Antrag gemäß Umweltinformationsgesetz zu stellen.

    Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und später auch die Landesforstanstalt Eberswalde (dort werden die Rohdaten aus Berlin zusammen mit denen aus Brandenburg zu einem gemeinsamen Waldzustandsbericht zusammengefasst) mochten die Daten nicht so recht herausgeben. Erst nach einem längeren Mailverkehr und mehreren Hinweisen auf das Umweltinformationsgesetz kam schließlich knapp vier Wochen nach Beginn der Recherche die Mail mit den ersehnten Daten. Vom Netzwerk Recherche stammt die gute Idee, Anträge und Urteile zur Durchsetzung von Auskunftsansprüchen zu veröffentlichen, daher hier der Emailwechsel (PDF).

    Die Datei mit den Rohdaten (Excel-XLS-Format) besteht aus einer Liste mit den 984 Bäumen, die im Jahr 2007 untersucht wurden. Viele Informationen sind codiert. In der Spalte „Baumart“ etwa stehen keine Namen, sondern Nummern. Die „51“ steht dabei zum Beispiel für die Stieleiche, die „71“ für die Flatterulme. Zur Decodierung brauchte es also noch eine Liste der verwendeten Codes, die ich auf erneute Anfrage auch erhielt.

    Komplizierter war die räumliche Zuordnung der Bäume. Über den Standort jedes Baumes gab es dazu zum Beispiel folgende Informationen: „Forstamt Tegel, Abt 114, Uabt 2, Tf 2, PLOT 20001, Position 7, Baumnummer 32“. Die Angabe des Forstamtes war ein erster Anhaltspunkt, allerdings erstreckt sich der Zuständigkeitsbereich der vier Forstämter Berlins über mehrere Bezirke. Relevant ist nun die Zahl in der Spalte „Abt“. Diese Zahl findet sich auf den Karten der Waldgebiete Berlins wieder, wobei es vier unterschiedliche Karten für die vier Forstämter Berlins gibt: Tegel, Grunewald, Köpenick und Pankow (PDF).

    Dann folgte die Puzzle-Arbeit, die in der Datei genannten Bäume den einzelnen Wäldern zuzuordnen. Ich richtete dafür in der Baumdaten-Datei eine neue Spalte „Gebiet“ ein und hatte damit am Ende eine Datei, in der dann zu jedem Baum das Gebiet, auf dem er steht, im Klartext zu lesen ist. Dann rechnete ich eine Weile mit den Daten herum: Wie steht es um die einzelnen Baumarten? Zwischen welchen Werten gibt es signifikante Zusammenhänge, zum Beispiel zwischen Fruktifikation und Kronenverlichtung? Und wie ist der Zustand der Bäume in den einzelnen Bezirken?

    Schließlich lag mir noch daran, den Einwand auszuräumen, der immer wieder von den Mitarbeitern der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kam: Eine Aussage über den Zustand von Bäumen in kleineren Gebieten als dem Gesamtgebiet sei aus statistischen Gründen nicht möglich, weil dann die Zahl der Bäume in der Stichprobe zu klein werde. Das konnte ich mit den Rohdaten leicht widerlegen: Bei der Betrachtung aller 984 Bäume liegt die durchschnittliche Kronenverlichtung bei 24,81 Prozent, die Standardabweichung beträgt 12,34 Prozentpunkte, der Standardfehler liegt bei 0,3936 Prozentpunkten. Durch meine Einteilung der Bäume in drei Regionen sinkt tatsächlich die Zahl der Stichprobe und der Standardfehler steigt entsprechend. Die Region mit den wenigsten Bäumen hatte aber immer noch 216 Bäume, in der größten Region waren es 432 Bäume. Der Standardfehler bei der Region mit 432 Bäumen liegt bei 0,5941 Prozentpunkten, bei der Region mit 264 Bäumen liegt er bei 0,7599 Prozentpunkten. Der Standardfehler ist damit zwar deutlich höher als bei der Betrachtung aller 984 Bäume, aber angesichts der von 0 bis 100 reichenden Skala ist er doch sehr gering. Somit konnte ich zeigen, dass die Einwänder der zuständigen Mitarbeiter wohl eher Nebelkerzen sind und sich tatsächlich sehr wohl statistisch belastbare Aussagen über die Kronenverlichtung der Bäume in Teilregionen Berlins treffen lassen.

    Die Ergebnisse standen am 1. September im Lokalteil Berlin der taz. Im Online-Angebot der taz gibt es eine Ergänzung für die Leser, die sich detaillierter informieren möchten: Unter dem Print-Text erschien ein Verweis auf die Seite www.taz.de/baumdaten mit dem Hinweis, dass es dort die Datei mit den Baumdaten zum Download gibt sowie Tipps dazu, wie die Leser selbst mit Hilfe des Umweltinformationsgesetzes an Umweltinformationen herankommen können.

    Vielen Dank insbesondere an Sebastian Moericke-Kreutz, ohne den es die Idee für diese Recherche nicht gegeben hätte, und an das Netzwerk Recherche für die Jahreskonferenz!

    Tags: Berlin, CAR, Die Tageszeitung, Lokaljournalismus, Taz, Umweltinformationsgesetz

  • Journalismus & Recherche » Blog Archive » Eine Quelle ist keine Quelle, ist keine … (1)

    Vorab: Lieber Sebastian Wolff von der Berliner Zeitung, es tut mir ein wenig leid, dass ich Sie hier tadele, denn genauso gut könnte ich jeden Tag in jeder deutschen Zeitung einen Artikel herausgreifen und dafür kritisieren, dass er einzig und allein auf einer einzigen Quelle beruht.

    In Ihrem Fall auf Angaben des Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Zu Gute halten möchte ich Ihnen, dass Sie sich erst gar nicht die Mühe machen, das zu verschleiern. Damit nicht alle den Text lesen müssen: Der GDV beklagt sich, dass Internetbetrüger den Versicherungen das Leben schwer machen und Schaden zufügen. Als Beispiel wird angeführt, dass Schmuck bei Ebay angeboten wird würde (sic!) und diesem Wertzertifikate über einen viel höheren Preis beiliegen – letztere würden dann den Versicherungen vorgelegt, wenn ersterer gestohlen gemeldet wird.

    Ich habe mir den Artikel direkt nach der Lektüre ausgerissen, um ihn am Mittwoch den Volontären im Rechercheseminar vorlegen zu können – damit die ja nicht denken, das mit den Ein-Quellen-Artikeln sei ein theoretisches Phänomen.

    Was ist denn so schlimm daran, möchten Sie fragen? Naja, der Leser zahlt ja dafür, dass Sie sich etwas Arbeit machen, aber in diesem Fall hätten Sie doch besser einfach nur einen Nachdruck mit dem Verbandsmagazin abgemacht, das das Thema, wie Sie ja auch anführen, bereits in einem Artikel aufgegriffen hatte. Wobei, werter Kollege, einige Passagen hart an der Grenze zum Plagiat sind.

    Und da ich als Leser ja schon mal dafür bezahlt habe, dass Sie etwas mehr leisten, verrate ich Ihnen nicht nur, was ich mir noch gewünscht hätte, sondern was ich eigentlich für schlichtes Handwerkszeug halte. (Nicht dass Sie Leserforschung betreiben und mein Aboentgelt wieder nicht in die Redaktion wandert.)

    Abgesehen davon, dass der Artikel in sich widersprüchlich ist, indem er zum einen behauptet, dass es keine Zahlen gäbe, zum anderen aber sagt, die Zahl solcher Delikte sei gestiegen – hierauf hat ja der Kollege Kunze schon aufmerksam gemacht –, abgesehen davon also stellen sich nach der Lektüre des Textes mehr Fragen als der Artikel vermeintlich beantwortet hat.

    Ein paar Ideen ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

    1. Gibt es das Massenphänomen überhaupt? (Wieviel Schmuck mit Zertifikaten, die Wertangaben enthalten, finden Sie bei Ebay?)
    2. Wie kommen die Versicherer dazu, solchen Zertifikaten glauben zu schenken? (müssen Sie ja auch nicht) So ein Zertifikat ist ja kein Zahlungsbeleg – im Gegensatz zu Quittungen oder Kassenbons, die Versicherungen sonst so verlangen.
    3. Plausibilität: Die meisten Hausratversicherungen begrenzen die Versicherung von Wertsachen wie Schmuck.

    Schon diese kleine Denksportaufgabe hätte mich so skeptisch gemacht, dass ich das Thema entweder liegen gelassen hätte oder erst recht recherchiert hätte.

    Tja. So nun aber sieht es einfach so aus, dass der GDV seine jährliche Oh-wie-schlimm-ist-Versicherungsbetrug-PR-Meldung loswerden wollte und dachte, mit der Internetkriminalität als Aufhänger kommt das sicherlich besser an. Und: Bei Ihnen ist das ja auch angekommen. Glückwunsch, lieber GDV!

    PS: Liebe Leser, sagt’s den Volos nicht – sonst ist der ganze Spaß hin …

    Tags: Berliner Zeitung, Einmaleins, GDV, PR, PR-Meldung, Quelle, Wirtschaft, Wirtschaftsjournalismus