Von Sebastian Heiser, Redakteur bei der taz
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, Michael Konken, kommentiert das heutige Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes wie folgt: „Mit dem Richterspruch können Bundesbehörden Informationen zurückhalten und kritische Recherchen blockieren.“ Das Urteil lade „alle Bundesbehörden geradezu ein, bei unbequemen Fragen künftig zu mauern“.
Um es kurz zu machen: Das Gegenteil ist richtig.
Der Auskunftsanspruch für Journalisten ergab sich bisher aus den 16 Landespressegesetzen. Die Formulierung ist bundesweit meist ähnlich, als Beispiel sei hier auf § 4 des Berliner Pressegesetzes verlinkt. Für Bundesbehörden galt nach Ansicht der bisherigen Rechtsprechung das Pressegesetz des Landes, in dem die Behörde ihren Hauptsitz hat.
Die Frage, ob sich die Auskunftspflicht für Behörden auch direkt aus dem Grundrecht der Pressefreiheit gemäß Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz ergibt, wurde bisher in der Rechtsprechung verneint. So auch ausdrücklich in den Achtzigerjahren vom Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesverfassungsgericht und auch 1990 vom Bundesverwaltungsgericht noch einmal:

Was die Rechtsgrundlage der Informationsbeschaffung im Pressewesen angeht, so hat der erkennende Senat entschieden, daß ein Anspruch der Presse auf Information in seiner Ausprägung als Auskunftsanspruch gegen Behörden unmittelbar aus dem Grundgesetz nicht herzuleiten ist (BVerwGE 70, 310 [311 ff.]). Die Frage, wann und wo es zur Verwirklichung der Pressefreiheit im Bereich der Beschaffung publizistischer Informationen einer rechtlichen Verpflichtung öffentlicher Stellen zur Auskunft bedarf, kann weder mit einem – von der Verfassung vermeintlich vorgegebenen – einfachen Ja noch auf Grund einer allein am Einzelfall orientierten Betrachtung beantwortet werden. Das Grundgesetz hat es vielmehr den Gesetzgebern von Bund und Ländern überlassen, in Abwägung der betroffenen privaten und öffentlichen Interessen mit dem publizistischen Informationsinteresse zu regeln, ob und unter welchen – generell und abstrakt zu umschreibenden – Voraussetzungen ein Informationsrecht der Presse in der Form des Anspruchs auf Auskunft behördlicher Stellen besteht.

Heute ist das Bundesverwaltungsgericht von dieser Linie abgerückt. Es kam zu dem Ergebnis, dass für den Bundesnachrichtendienst die Landespressegesetze nicht gelten, weil dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung hat. Und dann kommt diese Aussage:

Mit der Gewährleistung der Pressefreiheit trägt das Grundgesetz der besonderen Bedeutung der Presse in einem freiheitlichen demokratischen Staatswesen Rechnung. Hieraus folgt die Pflicht des Staates zur Erteilung von Auskünften. Fehlt es an einer Regelung des zuständigen Gesetzgebers, ist ein Minimalstandard an Auskunftspflichten in der Weise verfassungsunmittelbar garantiert, dass das Grundgesetz einen klagbaren Rechtsanspruch auf Erteilung einer bestimmten Information zuerkennt, soweit ihm nicht berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen entgegenstehen, wie sie beispielhaft in den Landespressegesetzen aufgeführt sind.

Das ist eine frohe Botschaft in mehrfacher Hinsicht. Denn es bedeutet:
1. Ein Bundesland kann die Auskunftspflicht jetzt nicht mehr einfach so abschaffen. Das war die Gefahr, die bisher immer bestand: Dass irgendwo, irgendwann mal eine Landeskoalition auf die Idee kommt, dass diese Journalisten mit ihren Enthüllungsgeschichten über Behördenskandale ziemlich nerven und man ihnen diese Rechercheinstrument besser abnehmen sollte. Das geht jetzt nicht mehr. Ein Bundesland kann zwar die Auskunftspflicht aus dem Landespressegesetz streichen. Aber, ätsch, sie ergibt sich auch direkt aus dem Grundgesetz und gilt damit weiter.
2. Laut Bundesverwaltungsgericht gibt es einen „Minimalstandard“ für die Auskunftspflicht. Heute wird in vielen Blogs und Artikeln kritisiert, dass es lediglich so einen läppischen Minimalstandard gibt und es wird gefragt, wo genau denn der liegen soll. Dabei wird übersehen, dass dieser Minimalstandard vom Bundesverwaltungsgericht definiert wird. Die Auskunftspflicht gilt demnach im Prinzip für alle Informationen, eine Ausnahme gibt es nur, wenn „berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit von Informationen entgegenstehen, wie sie beispielhaft in den Landespressegesetzen aufgeführt sind“. Sprich: Der Minimalstandard ist der jetzige Zustand. Und das bedeutet für die Zukunft: Der Gesetzgeber kann diesen Minimalstandard, der sich direkt aus dem Grundgesetz ergibt, natürlich erweitern. Er kann ihn aber nicht im einem wesentlichen Teil einschränken – denn das wäre ein Verstoß gegen das Grundrecht der Pressefreiheit.
Es bleibt nur noch zu hoffen, dass sich auch das Bundesverfassungsgericht dieser Rechtsprechung anschließt!
Wie wir bei der taz mal dank des Auskunftsrechtes erklagt haben, wie klimaschädlich der Strom für das Bundeskanzleramt ist, steht im Reader „Auskunftsrechte kennen und nutzen – so kommt man an Aktenschätze“.

2 Comments

  1. Hallo, Herr Hirschler, Ihr konstruktiver und zurückhaltender Ton ist immer wieder erfrischend. Besonders, wenn er mit so viel Kompetenz in der Sache verbunden ist, wie wir es von Ihnen ja aber auch nicht anders gewohnt sind. Wir hier bei Recherche-Info.de haben für diese Kombination den Begriff „hirschlern“ geprägt, um uns immer einmal wieder an den hohen Wert der Diskussions- und Streitkultur zu erinnern.
    Ich kopiere Ihnen – und allen anderen interessierten Lesern – gern die kurze Stellungnahme von Professor Weberling hier hinein, stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Verlagsjustitiare, Honorarprofessor für Medienrecht an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und Initiator des dort 2001 gegründeten Studien- und Forschungsschwerpunkts Medienrecht:
    „Das gestrige Urteil des BVerwG in Sachen Auskunftspflichten wird ganz offensichtlich weithin mißverstanden.
    Seit 1985 vertrat das BVerwG (NJW 1985, 1655 ff.) die Auffassung, dass – entgegen u.a. den wörtlichen Feststellungen des BVerfG im Spiegel-Urteil – das Grundrecht der Pressefreiheit keinen Auskunftsanspruch der Presse gegenüber den Behörden garantiert.
    Wir, das heißt die Justitiare bei der Arbeitsgemeinschaft der Verlagsjustitiare sowie die Kollegen und zahlreiche Absolventen „meines“ Forschungsschwerpunkts Medienrecht an der Europa-Universität Viadrina
    schreiben und prozessieren seit 2002 (vgl. u.a. hier
    und hier) dagegen mit Nachdruck und mit zunehmendem Erfolg an.
    Gestern hat das BVerwG seine Meinung endlich der mittlerweile vorhandenen Mehrheitsmeinung angepasst und anerkannt, dass das Grundrecht der Pressefreiheit auch den Auskunftsanspruch der Medien gegen den Staat garantiert. Auskunftsansprüche und evtl. Klagen gegen Bundesbehörden müssen künftig lediglich entsprechend präzise formuliert und aufgebaut werden, was der Kläger im Verfahren vor dem BVewG nicht voraussehen konnte. Im Grundsatz ist das Auskunftsrecht der Presse durch die Entscheidung des BVerwG aber massiv gestärkt worden.“

  2. So kann man sich die Welt allerdings schön reden. Zunächst beschwört Herr Heiser das vollkommen absurde Szenario, ein Landesgesetgeber würde die (über ein halbes Jahrhundert bestehenden) Auskunftsansprüche mal eben abschaffen, um dann den Richterspruch pro BND-Nazi-Geheimnis als Sieg der Pressefreiheit zu feiern. Nein, 1. wurde die Klage aus Auskunft abgelehnt, 2. der starke und bewährte Anspruch aus dem Landespressegesetz abgelehnt (für den ds klare Rechtsprechung gibt), 3. ein wachsweicher, unklarer Anspruch in die Verfassung hineingelesen, der alles und nichts bedeuten kann (im konkreten Fall auch NICHTS zur Folge hat) und 4. hat ein Richter mitgewirkt, der selbst für das beklagte Ministerium gearbeitet hat. „Sieg der Pressefreiheit“, solch einen Beitrag unter „Journalismus und Recherche“ zu veröffentlichen, ist ein Hohn bzw Orwell 2.0… Setzen, Recherche-Note 6.

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