Das NDR-Medienmagazin ZAPP berichtet über Datenjournalismus. Dazu gibt’s die Interviews, die im Beitrag als Kurz-Statements erscheinen, in voller Länge (Links unten).
Das Interview mit Lorenz Matzat, Freier Datenjournalist (24:17
Das NDR-Medienmagazin ZAPP berichtet über Datenjournalismus. Dazu gibt’s die Interviews, die im Beitrag als Kurz-Statements erscheinen, in voller Länge (Links unten).
Das Interview mit Lorenz Matzat, Freier Datenjournalist (24:17
(Ja, ich weiß, dass das grotesk übersetzt ist.) Ein wunderbarer Artikel, erschienen in The Washington City Paper, über Julie Tate, Staff Researcher bei der Washington Post. Sie war an vier der sechs Geschichten beteiligt, die der Post in diesem Jahr Pulitzer-Preise bescherten.
Welche Personen und Unternehmen spenden eigentlich an die Parteien? Bisher war es recht kompliziert, das herauszufinden: Einmal, weil ohnehin nur alle Spender ab 10.000 Euro veröffentlicht werden. Und dann, weil auch die Informationen über diese Spender schwer zugänglich waren. Einmal im Jahr veröffentlichte der Bundestag auf seiner Webseite eine große PDF-Datei mit den eingescannten Rechenschaftsberichten der Parteien. Man konnte die Dateien nicht automatisch durchsuchen. Wer wissen wollte, ob eine bestimmte Person oder ein bestimmtes Unternehmen zu den Parteispendern gehört, musste sich durch jeden einzelnen Jahrgang und durch mehrere tausend Seiten quälen.
Die taz hat nun die Berichte der Parteien über ihre Spenden der Jahre 1994 bis 2009 aufbereitet und stellt eine Online-Suche zur Verfügung. Die Datenbank wird auch zukünftig aktualisiert, sobald die neuen Berichte erscheinen. Für das Bundestagswahljahr 2009 haben wir die Spender zudem in einer interaktiven Karte dargestellt. So kann jeder sehen, wo in der Nachbarschaft der nächste Parteispender wohnt. Die taz bietet die Daten auch in einem offenen Format zum Download und zur freien Weiterverwendung an.
Auch die Leser werden einbezogen: Die taz ruft sie dazu auf, die Daten zu durchsuchen und Hinweise für weitere Recherchen zu geben. Gerade im Lokalen erwarten wir viele interessante Rechercheansätze. So wurde die Gertrudis-Klinik in Leun-Biskirchen etwa zum 1. Januar 2011 in den hessischen Landeskrankenhausplan aufgenommen. Statt 18 Betten für gesetzlich Versicherte hat das Krankenhaus seitdem bis zu 140 Kassenplätze. Verantwortlich für die Entscheidung war das CDU-geführte hessische Sozialministerium. Im Jahr 2009 hatte die Gertrudis-Klinik 15.000 Euro an die CDU gespendet. Unsere Leser können weitere sachdienliche Hinweise an die Mailadresse open@taz.de mailen.
Die taz beauftragte opendatacity.de mit der Aufbereitung der PDFs. Die Mitarbeiter programmierten auch die Suchmasken für die maschinenlesbaren Daten. Rund sechs Personen waren in der taz insgesamt mit dem Projekt befasst, etwa einen Monat lang mit welchelnder Intensität. Als Kosten entstanden einige tausend Euro. Wenn man auch die Arbeitszeit der Festangestellten mitberücksichtigt, lagen die Kosten bei grob geschätzten 10.000 Euro. Die taz hat im vergangenen Monat die Kampagne „taz-zahl-ich“ gestartet und ruft ihre Leser dazu auf, freiwillig für die Inhalte auf taz.de zu zahlen. Wir hoffen, so einen Teil der Kosten wieder reinzuholen. Zum Start der Kampagne im April zahlten die Leser mehr als 10.000 Euro, im Mai waren es rund 4.700 Euro.
Sebastian Heiser arbeitet als Redakteur bei der taz
Bei der Konkurrenz ist man verärgert, dass dpa seinen Basisdienst bei Yahoo News einspeist und ihn damit kostenlos verfügbar macht. (Gibt es auch als RSS-Feed zu verschiedenen Themen/Ressorts.) Leider habe ich keinen Zugang zum Basisdienst über Ticker, um einmal abzugleichen, ob das wirklich der komplette Basisdienst ist – daher das Fragezeichen in der Überschrift. Da ich die Info jedoch aus guter Quelle habe und online dazu nichts zu finden war, musste das mal schnell gebloggt werden. Wenn jemand Ticker und Yahoo miteinander vergleichen kann, freue ich mich über eine Rückmeldung.
Das dpa-Archiv ist übrigens mit 72h Verzögerung hier online, Anmeldung erforderlich, Suche und Trefferlisten kostenlos, Meldungen kostenpflichtig,
Das netzwerk recherche plant, zusammen mit Prof. Branahl (Uni Dortmund, Institut für Journalistik) ein Handbuch zum „aktivem Presserecht“. Das Ziel ist es, anhand von konkreten Fällen zu zeigen, wie und wo Journalisten ihr Informationsrecht nach dem Presserecht, dem Informationsfreiheitsgesetz, dem Umweltinformationsgesetz, oder anderen Gesetzen bei Behörden zur Not auch vor Gericht durchsetzen können.
Es sollen Fälle gesammelt, aus denen beispielhaft hervorgeht, mit welchen Formulierungen erfolgversprechende Anträge gestellt werden können. Wo diese Anträge eingereicht werden müssen und wie man mit einer Ablehnung umgeht. Gezeigt werden soll, wie man Widersprüche bei Behörden stellt und wie man schließlich eine Klage durchsetzt und was das alles kostet.
Dazu werden nicht nur die Auswertung der Fälle vorstellt, sondern die Fälle selbst mit ihren Schriftsätzen dokumentiert. Wie aus einem Werkzeugkasten sollen sich Journalisten dann in dem Handbuch bedienen können, wenn sie ihren Auskunftsanspruch durchsetzen wollen. Frei nach dem Motto: Die Gesetze sind da, lasst uns sie einsetzen.
Das Handbuch soll gedruckt und im Web publiziert werden. Es soll zudem vor allem im Netz laufend ergänzt werden mit neuen interessanten Fällen. Um schnell mit der Arbeit beginnen, werden mindestens 12 Fälle aus der Praxis gebraucht; jeweils Schriftsätze, Anträge, Entscheidungen und gegebenenfalls die Urteile.
Wer hat Fälle, oder kennt Journalisten, die ihren Informationsanspruch vor Gericht durchgesetzt haben? Hinweise bitte an David Schraven, der das Projekt koordiniert, unter
david.schraven@mag.cc.
[AUde]
(Kurze Notizen vom 15. DFN-Workshop „Sicherheit in vernetzen Systemen“ – einer Konferenz, die entgegen des ersten Eindruckes ziemlich viel für recherchierende Journalisten zu bieten hat.
Den Konferenzband gibts bei BoD: 15. DFN Workshop „Sicherheit in vernetzen Systemen“ / hrsg. v. Christian Paulsen © Hamburg : DFN-CERT GmbH, 2008
ISBN 978-3-8334-7381-4 )
[AUde]
Frank Rieger (CCC)
Risiken elektronischer Wahlverfahren
Als Auftakt (heute heißt das „Keynote“) des 15. DFN-Workshop sprach Frank Rieger vom CCC über die Sicherheitsrisiken von Wahlcomputern. Das zeigte deutlich, dass diese Sicherheitskonferenz keine unpolitische Veranstaltung ist.
Da das aber kein Recherche-Thema im engeren Sinn ist, beschränke ich mich auf den Link auf weiterführendes Material:
https://berlin.ccc.de/wiki/wahlcomputer
und sein Resemeé:
„Wir wissen zu viel über Computer, um ihnen die letzten Reste von Demokratie anzuvertrauen.“
Zudem: Wie Wahlen durchgeführt werden müssen – frei, gleich, geheim, transparent, nachvollziehbar und für den Wähler verständlich – das hat Verfassungsrang. Ökonomisierung der Wahl durch Computerisierung nicht.
Andreas Schuster:
File Carving – Grundlagen und neue Techniken
File Carving („Dateien herausschnitzen“) sind Techniken zur Wiederherstellung gelöschter Daten. Wer also Daten verläßlich Löschen sollte (Kommunikationssicherheit!) sollte ein wenig davon verstehen.
Dateien bestehen aus den „Nutzdaten“ (ihrem für den Nutzer sichtbaren Inhalt) und Metadaten. Die Metadaten sind oft nicht in der Datei selbst gespeichert, sondern in speziellen Verzeichnissen des Dateisystems, z.B. im FAT oder NTFS. Löschen bedeutet normalerweise nicht „ausradieren“ sondern schlicht, dass der Platz der Datei als ‚unbenutzt‘ gekennzeichnet wird – frei für künftiges Überscheiben. Je nach Nutzung des Systems können die Daten also noch sehr lange vorhanden sein. Hier setzt File Carving an.
In der Praxis ist File Carving (z.B. wegen fragmentierten oder eingebetteten Dateien) nicht trivial. Seit 2006 gibt es neue (linuxbasierte) Techniken, als Zero-Space-Carving, In-Line C. oder In-Place C. bezeichnet. Es gibt wohl einen eigenen Wettbewerb zum Thema: DFRWS File Carving Challenge 2006 und 2007
Fazit (unter Überspringen aller technischen Details):
File Carving ist Spezialistenaufgabe, wird aber zunehmend leichter und erfolgreicher. Neuere Carver brauchen weniger Speicherplatz, weniger IO-Zeit und spezialisieren sich auf bestimmte Dateiformate.
Sicheres Löschen ist ein Thema, das Journalisten auf die Tagesordnung setzen sollten. Derzeit ist – bei Festplatten – der größte Feind des Carvens nicht das Formatieren, sondern das Defragmentieren!
Weiteres im Blog des Referenten:
computer.forensikblog.de
„Verschlüsselung ist der ärgste Feind des Forensikers.„
H.C. Pöhls, Lars Westphal:
Gefahren neuer XML-Formate
XML-Dateiformate transportieren Daten, die andere nicht sehen sollen: Metadaten, Metadaten eingebetter Objekte, Rohdaten eingebetteter Objekte.
Es geht z.B. um die Open-Office-Dateiformate .odt und um die neuen Microsoft-Formate .docx, .pptx, .docm, .pptm (die mit m am Ende können Makros enthalten). Diese Dateiformate arbeiten mit Containern, deren Inhalt im WYSIWYG-Modus nicht unbedingt sichtbar ist (faktisch also simple Steganographie). Der Clou bzw. die Gefahr: z.B. E-Mail Filter lassen bestimmte Inhalte (etwa ZIP-Dateien oder Executables) nicht durch. Als Teil einer .odt-Datei aber schon!
Wer tiefer einsteigt, kann selbstverständlich im XML-Dokument an den Tags herumfriemeln. Und das auch nach einer digitalen Signatur.
Eingebettete Objekte (Bilder in Textdateien) werden als Rohdaten gespeichert. Werden sie im Textdokument bearbeitet (z.B. skaliert oder nur ein Ausschnitt gewählt), bleibt das Ur-Bild dennoch unverändert im XML-Container.
MS-Offive hat mittlerweile fünf verschiedene Dateiansichten. Keine zeigt alle Inhalte einer Datei verläßlich an. Man sollte also immer einen Hex-Editor am Start haben.
Live-Demo:
In einem digital signierten MS-Word-Dokument (.docx) wird der Verfassername in den Metadaten und Link-Ziele geändert. Klappt. Und bei Open-Office soll das auch gehen. Das sind ja schöne Aussichten.
Morgen mehr, der Rest der Konferenz sind Themen mit geringem Recherche-Bezug.
[AUde]
Die Bundesregierung hält ihre Hartz-IV-Politik für so unpopulär, dass sie beim Bekanntwerden interner Dokumente mit neuen Protesten rechnet. Weil die Mitglieder der Bundesregierung, des Berliner Senates sowie die Richter am Bundessozialgericht dann „einem erheblichen öffentlichen Druck ausgesetzt wären, dem sie in dieser Form üblicherweise (…) nicht ausgesetzt sind“, sollen die Dokumente unter Verschluss bleiben, heißt es in einem Schreiben des Bundesarbeitsministeriums. Mit dieser Begründung lehnte das Ministerium einen Antrag gemäß Informationsfreiheitsgesetz ab, mit dem ich Einblick in eine Klageschrift der Bundesregierung zu einem Prozess gegen das Land Berlin vor dem Bundessozialgericht haben wollte.
Es geht dabei um Zwangsumzüge für Hartz-IV-Empfänger: Wie schnell muss jemand, der arbeitslos geworden ist, in eine billigere Wohnung umziehen? In § 22 des Sozialgesetzbuches II heißt es, die Kosten für die bisherige Wohnung werden vom Jobcenter so lange bezahlt, wie es „nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken“. Dabei gibt das Gesetz auch einen Anhaltspunkt für den Zeitraum vor: Die höheren Kosten für die bisherige Wohnung sollen „in der Regel jedoch längstens für sechs Monate“ übernommen werden. Die rot-rote Landeskoalition in Berlin lehnt Zwangsumzüge politisch ab und versucht, sie im Rahmen der Umsetzung des Bundesrechts möglichst zu vermeiden. Dabei argumentiert der Senat auch finanziell: Schnelle Zwangsumzüge würden sich für das Jobcenter oft überhaupt nicht lohnen. Schließlich muss das Jobcenter auch das Umzugsunternehmen bezahlen und die doppelte Miete für den Umzugsmonat. Die dadurch entstehenden einmaligen Kosten amortisieren sich zwar langfristig durch die Einparungen bei der Miete – aber das gilt nur, wenn die Hartz-IV-Bezieher auch langfristig auf Hartz IV bleiben.
Der Senat argumentiert aber: Wenn ein Hartz-IV-Bezieher kurz nach seinem Umzug einen Job findet, dann hat sich der Umzug finanziell für den Staat nicht gelohnt. Denn das Jobcenter hat zwar alle Kosten für den Umzug zu tragen, profitiert aber nur kurze Zeit von der niedrigeren Miete in der neuen Wohnung. Außerdem habe der Hartz-IV-Bezieher mehr Zeit für die Jobsuche, wenn er nicht parallel noch seinen Umzug in eine billigere Wohnung organisieren müsse. In den Ausführungsvorschriften hatte Berlin daher festgelegt: Die Wohnkosten „werden zunächst für die Dauer eines Jahres ab Beginn des Leistungsbezuges in tatsächlicher Höhe übernommen“.
Der Bund aber rechnete anders. Seiner Ansicht nach hätte es Geld gespart, wenn das Land Berlin die Hartz-IV-Empfänger zu schnelleren Umzügen gezwungen hätte. Und weil die Kosten der Miete zwischen Bund und Kommune aufgeteilt werden (der Bund zahlt etwa zwei Drittel), verklagte der Bund das Land Berlin vor dem Bundessozialgericht auf Erstattung seines Anteils der angeblich zu viel gezahlten Mietkosten – gut 47 Millionen Euro.
Mich hätte nun interessiert, wie die Berechnungen des Bundes aussehen, mit denen er die Berechnungen des Landes Berlin angreift. Wer hat recht? Welches ist der wirtschaftlichste Zeitpunkt für Zwangsumzüge? Daher stellte ich im Februar 2009 beim Bundesarbeitsministerium einen Antrag nach Informationsfreiheitsgesetz, um die Klageschrift einzusehen.
Mein Buckapitel über Recherche wächst. Vor dem handwerklichen Teil will ich etwas weiter ausholen und beschäftige mich damit, warum Recherche es so schwer hat und was man dagegen machen kann. Denn ohne dass sich etwas ändert, wird es nicht dazu kommen, dass einzelne Journalisten, Redaktion, eine ganze Branche mehr auf Recherche setzen. Über Anregungen und Kritik freue ich mich.
Zeitungen haben Farbfotos bekommen und die Andruckzeiten wurden nach hinten geschoben. Das Netz ist voll mit Nachrichten, Videos und vielem Neuem – kostenlos. Das Konsumieren von Video- und Audioinhalten löst sich zunehmend von Sendezeiten. Das Verbreiten von Inhalten ist dank neuer Technologien und sinkender Technikpreise für jedermann möglich geworden. Blogs sind ein gutes Beispiel hierfür: Anders als mit einer privaten Homepage Ende der 90er Jahre, kann das, was ich in einem Blog schreibe binnen einer halben Stunde weltweit von jedermann gefunden werden. „Senden“ ist kein Privileg mehr. Es braucht nicht viel Weitsicht um zu folgern, dass die Inhalte sich von den Verbreitungsmedien lösen. „Content is King.“ heißt es immer, aber wer setzt das denn um?
Doch hat sich mit diesem technischen Fortschritt, mit der Entwicklung des Netzes auch die Qualität von Journalismus verändert, gar gebessert? Die Frage ist schwer zu beantworten, eines aber ist sicher: Gemessen an dem enormen Fortschritt bleibt der Journalismus weit hinter seinen (neuen) Möglichkeiten zurück. Gerade in der Recherche ist vieles einfacher oder überhaupt erst möglich geworden, vieles geht schneller, bei einigen Recherchen gibt es zumindest alternative Wege. (Der Vollständigkeit halber sei ergänzt, dass sich abseits technischer Entwicklungen die PR professionalisiert hat und über ungleich mehr Mittel verfügt – das macht zum Teil Recherchen schwieriger.) Gerade der Mangel an Recherche im Allgemeinen und an innovativen Ansätzen in der Recherche im Besonderen ist nicht zu verstehen, wenn man sich nicht klar macht, woran das liegt. Denn es ist unstrittig, dass Recherche die Basis jeglicher journalistischer Qualität ist. Ohne sie können wir fundamentale Ansprüche an Journalismus nicht einhalten: das Streben nach Wahrheit, Genauigkeit und Quellentransparenz. Ohne das nutzt alles andere nichts: kein schnelles Produzieren, kein schöner Schreiben und keine noch so originelle Themenfindung. Bevor in diesem Kapitel die Grundsätze der Recherche vorgestellt werden, will ich thesenartig auf die Gründe eingehen, warum wir eben keinen Fortschritt in der Recherche erleben, denn diese Gründe, muss jeder Journalist überwinden, der es anders machen will.
1. Geschwindigkeit ist King.
Es gibt ein absurdes Rennen, wer eine Meldung zuerst hat. Onlinejournalismus hat beschleunigt, was schon lange eine journalistische Tugend war: Etwas als erster vermelden zu können. Doch das ist zum Selbstzweck geworden – denn bei den Minutenabständen, um die es heute geht, interessiert das nur noch die News-Junkies in und außerhalb der Redaktionen. Eingeschränkt gelten lasse ich das Geschiwindigkeitsdogma noch für Breaking News und Radio-Nachrichten. Aber selbst bei letzteren bleibt eine halbe Stunde, um die schlimmsten Fehler zu vermeiden.
2. Fehler werden nicht wahrgenommen.
Fehler werden gemacht, aber selten wahrgenommen. Fact-Checking vorher findet nicht statt – das ließe sich verschmerzen, wenn mehr Fehler im Nachhinein bekannt würden – über redaktionsinterne Kritik, Leserbriefe, Watchblogs etc. Aber ohne Rückmeldung zur Qualität der Fakten gibt es keinerlei Anreize, besser zu recherchieren. Ein Redaktionsmanagement, das eine Fehlerkultur etabliert, kann auf ein aufwändiges (institutionalisiertes) fact-checking verzichten. (Institutionalisiertes fact-checking reduziert die faktentreue der Autoren, wenn diese auf die institutionelle Fehlersuche und Kontrolle vertrauen.)
3. Die Verleger haben keine Idee für ihre Zukunft, die sich von ihrer Vergangenheit unterscheidet.
Die Verleger beschäftigen sich mit allem, aber nicht mit einem neuen Businessmodell für Ihre Zukunft: Bezahlmodelle, Streit um Nutzerdaten, Leistungsschutzrechte und die Beschimpfung von Google. Die (zum Teil) neue Ökonomie des Netzes kommt darin nicht vor. Welcher Verleger hat sich schon ernsthaft mit dem „long tail“ oder den Ideen von Jeff Jarvis auseinandergesetzt? Verleger sehen die Nischen nicht, in denen sie Geld verdienen können und vermutlich wundert sich kaum jemand, warum es sich für den Spiegel rechnet, sein ganzes Archiv kostenfrei online zu stellen und er schon seit Jahren nicht mehr versucht, Artikel einzeln zu verkaufen. Lokales oder auch Hyperlokales ist eine Nische, Qualitätsjournalismus eine andere – zumindest wenn man, wie die Verleger behaupten, Geld mit Inhalten verdienen möchte.
4. Marketing wird mit Qualität verwechselt.
So wie einst die schiere Geschwindigkeit ein Qualitätsmerkmal sein konnte, war es auch die Möglichkeit, einen eigenen Reporter vor Ort zu haben oder schicken zu können. Doch auch das ist zum Symbol verkommen. „Reporter vor Ort“ sorgen heute dafür, dass uns vertraute Gesichter vor stets neuen Kulissen mit dem richtigfarbenen Popschutz auf dem Mikrofon erzählen, was die Heimatredaktion an Agenturmeldungen durchgegeben hat. Eine Zuspitzung, aber keine unzutreffende. Der Korrespondent ist ein Teil des Marketings: vertraute Köpfe und Namen, das Senderlogo am Ort des Geschehens.
Englische Zeitungen haben einst Reporter losgeschickt, um zu überprüfen, ob das was die Regierung vom Fortgang eines Krieges berichtet, stimmt. Davon sind wir weit entfernt – mit etwas Glück kann der Korrespondent etwas besser einschätzen und einordnen oder er hat wenigstens mit dem Zimmermädchen oder dem Taxifahrer gesprochen. Wie wichtig tatsächliche Nähe ist, zeigen Robert Gutjahrs Erfahrungen in Kairo – er kann auf dem Platz das Geschrei der Massen als Wut und Protest verstehen, auch ohne Arabisch zu können, denn er sieht die in die Höhe gereckten Schuhe. Dietmar Ossenberg vom ZDF hört auf dem Hoteldach dagegen nur das Geschrei und deutet es – falsch – als Freudenjubel. Akustisch vermutlich gar nicht zu unterscheiden.
5. Die Grenze zwischen Unterhaltung und Journalismus verschwindet. Der sogenannte Sportjournalismus hat es vorgemacht: brave Fragen, der Reporter der sich gemein macht mit Spielern, Trainern, Vereinen und Sponsoren. Mitmachen statt Hinterfragen. Als Unterhaltungsmoderation noch akzeptabel (solange keine Faktenfehler gemacht werden), aber als Journalismus eine Katastrophe. Unterhaltende Formen dienen der Quote und es ist ja auch nicht unzulässig, journalistische Medien für Unterhaltung zu nutzen, aber man sollte das dann nicht mehr als Journalismus bezeichnen. Gerade im Radio sind die Grenzen aber fließend geworden: selbst bei öffentlich-rechtlichen Sendern weiß der Hörer kaum, was Journalismus, was Unterhaltung, was Sendermarketing ist und sein soll.
6. Recherche zahlt sich selten aus.
In dem so beschriebenen Umfeld darf man kaum erwarten, dass Recherche geschätzt wird. Es funktioniert ja auch so, schon lange. Mehraufwand wird nicht honoriert, selten überhaupt gewürdigt. Berufsethos ist etwas für Berufseinsteiger und Recherche können sich nur Spiegel und Stern wirklich leisten. Ausnahmen bestätigen die Regel: Die Redaktion des Spiegel ist voller guter Rechercheure, die nach ein paar guten, großen Geschichten in einer Regionalzeitung ein Angebot vom Spiegel bekamen. Wer sich für Recherche stark macht, wer selbst recherchieren will, muss aus diesen Problemen Forderungen ableiten:
1. Entschleunigung ist Qualität. 2. Fehler sind peinlich und müssen ernst genommen werden. 3. Wenn es die Verleger nicht tun, müssen vielleicht Journalisten ein Businessmodell für Recherche-Journalismus (er)finden. 4. Echte Augenzeugenschaft des Reporters am Ort des Geschehens ist wichtiger als die Dauerpräsenz der Korrespondenten auf den Bildschirmen. 5. Journalismus und Unterhaltung dürfen nicht vermischt werden. 6. Recherche braucht Unterstützung – Zeit, Geld und Zuspruch von Lesern wie von Vorgesetzten.
Es gibt eine ökonomische Nische für Recherche-/Qualitätsjournalismus und Recherche ist zugleich einfacher geworden, effizienter umzusetzen. Dass zugleich aber weniger recherchiert wird, ist ein Paradoxon.
Darum, wie das Handwerkszeug derer aussieht, die sich davon nicht irritieren lassen und selbst recherchieren, handelt der Rest des Kapitels: von Regeln, Strategien, dem Umgang mit Quellen und immer auch wieder den vermeintlichen Unterscheiden zwischen on- und offline-Recherche.
Fr., 12.04.2013, 18:00 Uhr, Bielefeld in der Hechelei (heißtwirklichso!).
Die BigBrotherAwards wurden ins Leben gerufen, um die öffentliche Diskussion um Privatsphäre und Datenschutz zu fördern – sie sollen missbräuchlichen Umgang mit Technik und Informationen zeigen. In Deutschland werden sie seit dem Jahr 2000 vom Verein „digitalcourage e.V.“ (vormals FoeBuD) vergeben.
Hauke Johannes Gierow berichtet vom ersten Open Data Hackday in Berlin. Open Data wird Thema eines Workshops mit Lorenz Matzat bei der Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche sein, der am 10. Juli um 11.30 Uhr beim NDR in Hamburg stattfindet. Anmeldungen für das Jahrestreffen sind ab sofort möglich.
Der erste deutsche Open Data Hackday (am 17./18. April) ist nun vorbei, und nach dem die meisten Teilnehmer schon während der re:publica fleißig dabei waren, sind Sie wohl größtenteils in einem Zustand euphorischer Erschöpfung wieder nach Hause gekommen. Viele neue Informationen, Anregungen, Ideen, Kontakte und viel Spaß hinterlassen halt auch ihre Spuren.