Behörden und andere öffentliche Auftraggeber müssen größere Aufträge öffentlich und europaweit ausschreiben – und auch Journalisten können diese Ausschreibungen nutzen, um auf neue Themenideen zu kommen oder etwas von Vorgängen zu erfahren, zu denen die Behörden nicht von sich aus eine Pressemitteilung herausgeben. In diesem Eintrag erläutere ich an ein paar Beispielen, wie wir in der Berlin-Redaktion der taz die Ausschreibungen als Recherchemittel nutzen. Anschließend stelle ich das Portal vor, auf dem die Ausschreibungen veröffentlicht werden, und erläutere die Nutzung.
Drei Beispiele
Die Beispiele zeigen, in welchem breitem Spektrum sich die Informationen aus Ausschreibungen journalistisch verwerten lassen: Etwa für eine Kurzmeldung, als Hintergrundinformation oder für einen kleinen Scoop.
Am 30. August schrieben die Berliner Verkehrsbetriebe „selbstklebende Folien aus Kunststoff“ aus. Die grün getönten Folien sollen auf Fenster der Fahrzeuge geklebt werden, um dort die Folgen von mutwilligen Beschädigungen durch Fahrgäste („Scratching“) zu verringern. Aus der Ausschreibung (PDF) machten wir eine Kurzmeldung.
Am 13. September veröffentlichte Vattenfall das Ergebnis der Ausschreibung (PDF) für die Organisation der „Vattenfall Klimaaktionstage“ (Vattenfall ist zwar eine Aktiengesellschaft, gehört allerdings dem schwedischen Staat und muss daher ebenfalls öffentlich ausschreiben). Bei den Klimaaktionstagen geht eine von Vattenfall beauftragte PR-Agentur an Schulen und erklärt den Schülern der Klassen 7 bis 10, wie man im Haushalt Strom sparen kann und was Vattenfall unternimmt, um den Strom möglichst klimaschonend zu produzieren. Vattenfall selbst sagt, dass sie das aus gesellschaftlicher Verantwortung machen und um die Schüler über den Klimawandel zu informieren. Aus der Ausschreibung ergibt sich, dass Vattenfall die Klimaaktionstage allerdings nicht flächendeckend in dem Gebiet veranstaltet, in dem Vattenfall Netzbetreiber ist (Ostdeutschland außer Brandenburg plus Hamburg). Stattdessen gibt es die Klimafortbildung für Schüler nur an zwei Orten innerhalb dieser Zone (Hamburg, Berlin) und an einem Ort außerhalb dieser Zone (Lausitz). In Hamburg ist Vattenfall gerade wegen des Neubaus eines Kohlekraftwerkes in der Kritik, in Berlin wegen Plänen zu einem solchen Kraftwerk und in der Lausitz wehren sich Anwohner dagegen, dass ihre Dörfer einem Tagebau weichen sollen. Die Klimaaktionstage finden also genau dort statt, wo Vattenfall gerade besonders in der öffentlichen Kritik steht. Das zeigt, dass es bei den Klimaaktionstagen weniger um den Klimaschutz geht (denn es gibt ja keinen sachlichen Grund dafür, dass nicht auch die Schüler in Rostock, Dresden und München lernen, wie sie das Klima retten können), sondern doch wohl eher die Image-Verbesserung im Vorderund steht. Nun gut, das haben viele vielleicht schon vorher geahnt, aber an diesem Beispiel kann man es einmal anschaulich zeigen. Diese Hintergrundinfo floss jedenfalls in meinen nächsten Artikel über Vattenfall ein.
Am 1. April veröffentlichte die Berliner Polizei eine Ausschreibung (PDF) über 1.000 Funkgeräte. Es geht dabei darum, die Analogfunktechnik durch einen verschlüsselten Digitalfunk zu ersetzen, der nicht so störanfällig ist und nicht von Ganoven abgehört werden kann. Es geht also darum, die Sicherheit für die Bürger zu verbessern und Berlin wollte mit diesem Pilotprojekt in einer Polizeidirektion bundesweit zu den Vorreitern gehören. Dieser Sicherheitsgewinn wird aber weiter auf sich warten lassen – und Schuld daran sind Fehler der Polizei bei der Ausschreibung der Funkgeräte. Am 3. Dezember hat die Polizei die Ausschreibung daher zurückgezogen und über diese Benachrichtigung über ein nichtabgeschlossenes Verfahren (PDF) kam ich auf das Thema, über das dann ein Kollege schrieb. Die oppositionelle FDP brachte das Thema daraufhin im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses zur Sprache, auch andere Zeitungen berichteten.
Der Wert von Ausschreibungen für Journalisten
Der große Vorteil der Ausschreibungen ist, dass gesetzlich festgelegt ist, wann eine Behörde eine Ausschreibung veröffentlichen muss und welche Form sie haben muss. Ausschreibungen sind daher eine gute Ergänzung zu Pressemitteilungen, weil man darin auch über Vorgänge erfährt, über die eine Behörde nie von selbst eine Pressemitteilung herausgeben würde (obwohl die Panne der Polizei bei der Ausschreibung der Digitalfunkgeräte von öffentlichem Interesse ist, hat die Polizei selbst dazu keine Pressemitteilung herausgegeben). Bei einer Reihe von Ausschreibungen wird auch nach dem Abschluss des Verfahrens veröffentlicht, wer den Auftrag bekommen hat und für wie viel Geld der Auftrag vergeben wurde.
Die Ausschreibungen helfen auch dabei, Informationsfreiheitsgesetze als Recherchemittel besser anzuwenden. Die Informationsfreiheitsgesetze des Bundes und einiger Bundesländer ermöglichen ja auf Antrag einen Zugang zu Behördenakten und damit auch zu Studien und Gutachten, die eine Behörde in Auftrag gibt und bei denen es oft um Fragen von hohem öffentlichen Interesse geht. Das Problem ist allerdings, dass die Behörden in der Regel nicht von sich aus veröffentlichen, zu welchen Themen sie Gutachten und Studien in Auftrag geben. Über die Ausschreibungen kann man nun genau das erfahren und anschließend einen Antrag auf Akteneinsicht nach Informationsfreiheitsgesetz stellen.
Tenders Electronic Daily: So können Journalisten Ausschreibungen finden
Großes Lob an die EU: Die Ausschreibungen werden in einer Form veröffentlicht, die das systematische Durchsuchen besonders leicht macht und keine Wünsche offen lässt. Das Portal für die europaweiten Ausschreibungen ist http://ted.europa.eu/. Dort kann man sich mit einem Benutzernamen und einer Mailadresse kostenlos registrieren. Nachdem das Benutzerkonto mit einer Mail freigeschaltet wurde, kann man sich einloggen. Zur Suche nehme ich immer die „Erweiterte Suche“. Und so sieht das Suchfeld aus (auf das Bild klicken, um es zu vergrößern):

Wichtig ist die Einstellung des Suchbereichs. Eine Suche unter „Letzte Ausgabe“ umfasst lediglich die Ausschreibungen eines Tages, es empfiehlt sich daher die Suche im Archiv. Die Rubriken, die ich für die Suche meistens nutze, sind Ort (z.B. Berlin), Name des Auftraggebers (z.B. Vattenfall) oder Volltext (z.B. Gutachten). Auf der folgenden Seite werden die Ergebnisse angezeigt und man kann auch eine Suche speichern:

Um die Suche zu speichern, kann man im nächsten Schritt ein Namen für das Suchprofil eingeben. In der Liste der Suchprofile kann man dann einstellen, wie man über neue Ergebnisse informiert werden möchte:

„News Alert“ bedeutet dabei, dass man per E-Mail benachrichtigt wird, sobald ein neuer Treffer vorliegt. Zudem kann man einstellen, wie schnell man dann benachrichtigt wird – täglich, wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich. Man kann seine individuellen Suchergebnisse auch per RSS abonnieren.
Ich selbst habe mir ein Suchprofil eingestellt, das relativ breit definiert ist: Ich bekomme alle Aufträge, die Berlin betreffen. Das umfasst die Aufträge von Bezirken, Landes- und Bundesbehörden und es sind meist so zehn bis zwanzig Ausschreibungen pro Tag. Ich scanne jeweils nur ganz kurz über Auftraggeber und Kurzbeschreibung und entscheide dann, ob ich weiterlese. Meistens lese ich nicht weiter und ich bin dann nach nicht einmal einer Minute mit allen Ausschreibungen durch. Die meisten Ausschreibungen sind für den journalistischen Gebrauch irrelevant, es geht da etwa um die Renovierung von Turnhallen, um den Einkauf von Druckern für ein Bezirksamt oder den Kauf von irgendwelchen technischen Geräten für wissenschaftliche Forschungseinrichtungen. Manche Bauprojekte werden auch in zig Teilaufträge aufgesplittet, die dann über Wochen einzeln veröffentlicht werden – so etwa beim Bau des NS-Dokumentationszentrums „Topographie des Terrors“ oder beim Wiederaufbau des Ostflügels des Museums für Naturkunde. Andere Ausschreibungen betreffen Sachverhalte, die bereits öffentlich bekannt sind – zum Beispiel bei der neuen Ausschreibung für den Umbau der Staatsoper Unter den Linden gab es erst die Pressekonferenz zu dem Thema und dann ein paar Tage später wurde die Ausschreibung über die Webseite veröffentlicht.
Man darf als Journalist, der dieses Instrument nutzen will, also keine Scheu davor haben, sich durch eine große Menge von ziemlich trocken geschriebenen Ausschreibungstexten zu arbeiten und dabei auch ziemlich viel umsonst zu lesen. Dafür winken dann auch einige Perlen – also Vorgänge von öffentlichem Interesse, auf die man anders nicht aufmerksam geworden wäre und auf die einen die Behörde auch selbst nicht hingewiesen hätte. Und davon gibt es mehr als genug: Vielen Sachen konnte ich nicht nachgehen, weil einfach in der tagesaktuellen Produktion die Zeit dafür fehlt. Dann konzentriere ich mich auf das, was mich interessiert – und andere Themen, die vieleicht genauso relevant wären, fallen hinten runter. Andere Journalisten würden wohl anderen Themen nachgehen oder an die gleichen Themen anders herangehen. Zum Beispiel die Fensterschutzfolie bei den Verkehrsbetrieben. Das Thema, das in der taz als Kurzmeldung lief, hat die Berliner Zeitung erweitert und da einen Lokalaufmacher draus gemacht. Ich bin davon überzeugt: Die Ausschreibungen bieten so viel Stoff – es kann gar nicht genug Journalisten geben, die da ein Auge drauf haben.

2 Comments

  1. Vielen Dank für den Tipp!
    Sehr sehr kollegial uns alle darauf hinzuweisen 🙂
    Frohe Weihnachten!

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