Das Bundesverfassungsgericht hat heute die Vorschriften im Verfassungsschutzgesetz NRW zur
Online-Durchsuchung und zur Aufklärung des Internet für nichtig erklärt, so die Pressemeldung. In der Urteilsbegründung formuliert das BVErfG das „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“.

Man darf sich jetzt nicht täuschen lassen von den Siegesäusserungen charakterloser Politiker, die es lauthals begrüßen, dass das Verfassungsgericht jene Grundrechte gewahrt hat, die sie selbst mit Füssen hätten treten wollen.

Um das Urteil kurz zusammenzufassen:

BVerfG, 1 BvR 370/07 vom 27.2.2008, Absatz-Nr. (1 – 333), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs20080227_1bvr037007.html

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Online-Durchsuchung im Verfassungsschutzgesetz NRW für nichtig und unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt!

Das Urteil beginnt mit fünf Leitsätzen:

  1. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) umfasst das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.
  2. Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. Die Maßnahme kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für das überragend wichtige Rechtsgut hinweisen.
  3. Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems ist grundsätzlich unter den Vorbehalt richterlicher Anordnung zu stellen. Das Gesetz, das zu einem solchen Eingriff ermächtigt, muss Vorkehrungen enthalten, um den Kernbereich privater Lebensgestaltung zu schützen.
  4. Soweit eine Ermächtigung sich auf eine staatliche Maßnahme beschränkt, durch welche die Inhalte und Umstände der laufenden Telekommunikation im Rechnernetz erhoben oder darauf bezogene Daten ausgewertet werden, ist der Eingriff an Art. 10 Abs. 1 GG zu messen.
  5. Verschafft der Staat sich Kenntnis von Inhalten der Internetkommunikation auf dem dafür technisch vorgesehenen Weg, so liegt darin nur dann ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG, wenn die staatliche Stelle nicht durch Kommunikationsbeteiligte zur Kenntnisnahme autorisiert ist.
    Nimmt der Staat im Internet öffentlich zugängliche Kommunikationsinhalte wahr oder beteiligt er sich an öffentlich zugänglichen Kommunikationsvorgängen, greift er grundsätzlich nicht in Grundrechte ein.

Ein Novum ist das von den Richtern postulierte „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“.

In der Urteilsbegründeung heisst es auch, dass „die Furcht vor Überwachung, auch wenn diese erst nachträglich einsetzt, eine unbefangene Individualkommunikation verhindern kann.“ Wohlvermerkt spricht das Gericht hier von der „Furcht vor Überwachung“, die eine Beeinträchtigung ist, nicht erst die Überwachung selbst.

Und ferner: „In einem Rechtsstaat ist Heimlichkeit staatlicher Eingriffsmaßnahmen die Ausnahme und bedarf besonderer Rechtfertigung“.

Kurzum: Das Gericht hat die Onlinedurchsuchung nicht per se verboten. Aber es hat hohe Hürden gesetzt.

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