Nach vielen anderen Kollegen, die sich mit der Frage beschäftigen, wie sich der Journalismus nach 1995 (mit dem Wachstum des Internets) verändert hat und was man in Zukunft wissen muss, bin ich kurz vor Weihnachten gefragt worden, zu dem Buchprojekt unter Leitung von Christian Jakubetz ein Kapitel über Recherche beizusteuern.
Meine ersten Gedanken hierzu will ich gerne hier diskutieren. Wichtig ist der Auftrag: Die Aufgabe des Buchs soll die Vermittlung von Handwerkszeug sein, nicht das Verbreiten von Thesen über die Bedeutung der Recherche etc. Dass ich nachfolgend dennoch mit Thesen arbeite, soll der Diskussion helfen; im Buchkapitel dann steht das Handwerk dann im Vordergrund.
Abgesehen von exemplarischen Suchmaschinen-Anfragen (mit den universellen Operatoren von Google/Bing/Yahoo) möchte ich allerdings darauf verzichten, einzelne Tools, etwas Programme oder Websites vorzustellen.
Wie verändert sich das Recherche-Handwerk durch die Digitalisierung?
1.) Recherche folgt den althergebrachten methodischen Prinzipien und muss ethischen, journalistischen und
juristischen Ansprüchen genügen – egal ob sie online oder offline stattfindet.
a) Prinzipien: Zwei-Quellen-Regel/Quellenlage transparent machen, von außen nach innen (mit
Einschränkung), Vollständigkeit, Plausibilität, Gegenseite hören.
b) Ansprüche: juristisch zulässig, journalistisch sorgfältig und angemessen, ethisch begründbar, d.h.
nach erfolgter Abwägung öffentliches Interesse vs. Einzelinteressen.
2.) Die Unterscheidung zwischen online und offline Recherche ist daher sinnlos und führt zu mehr Problemen
als Lösungen. Eine reine online-Recherche ist methodisch ebenso ungenügend oder zumindest ineffizient
wie eine reine offline-Recherche. (Bei einigen Themen sind Ausnahmen denkbar.)
Journalisten heute müssen permanent abwägen, welche Tools on- wie offline, am effizientesten sind.
3.) Zum Minimalkanon der Internetrecherche gehört ein Grundverständnis der Funktionsweise von
Suchmaschine, der zugehörigen Suchoperatoren und der Quellenprüfung. (ausführlicher Minimalkanon im
Kapitel)
Soll man hier auch einen Minimalkanon der offline-Recherche formulieren oder auch den Minimalkanon
„Presserecht für Rechercheure“?
4.) Das unter 3. beschriebene Handwerkszeug muss dann kreativ, strategisch, sinnvoll eingesetzt werden.
Beispiele für Online-Strategien: Finden von Suchbegriffen, gezieltes Befragen einer Quelle, kostenlose
Nutzung kostenpflichtiger Datenbanken.
Beispiel für Offline-Strategien: Factchecking, Pendeln, Informanten finden, sich selbst zum Protagonist
machen…
5.) Die Welt verändert sich, online wie offline. (Offline sei nur an die Informationsfreiheitsgesetze erinnert.)
Journalistische Bildung braucht kontinuierliche Updates. Redaktionsmanager müssen dies ebenso wie das
redaktionsinterne Wissensmanagement organisieren.
Das Buchkapitel könnte dann folgende Gliederung haben:
I. Was schon immer galt: Prinzipien und Anforderungen an Recherche
II. Minimalkanon der Offline-Recherche
III. Minimalkanon der Online-Recherche
IV. Minimalkanon Presserecht und Recherche
V. Recherche ist immer unter Zeit- und Rechtfertigungsdruck: Wie gehe ich damit um?
(Was macht Recherche effizienter, wie gehe ich mit unklaren Quellen um etc.)
VI. Exemplarische Strategien für (on- und offline) Recherche
VII. Ausblick mit Beispielen: Computer Assisted Reporting
Ich freue mich über Widerspruch, Ergänzungen, Anmerkungen!