Berlins Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) will die Schulinspektionsberichte veröffentlichen. Als ich dies vor zwei Jahren gemäß Informationsfreiheitsgesetz beantragte, fand seine Verwaltung noch viele markige Argumente, um das abzulehnen. Heute behauptet die Verwaltung einfach das Gegenteil von dem, was sie damals behauptet hat – und zeigt damit, wie willkürlich sie mit dem Akteneinsichtsrecht umgeht.
Die Schulinspektionsberichte sind das Ergebnis einer Evaluation von drei bis vier Personen (ein Schulrat oder Seminarleiter, zwei Schulleiter oder Lehrer und ein Elternteil oder Wirtschaftsvertreter), die eine Schule mehrere Tage lang besuchen. Sie verteilen Fragebögen an Lehrer, Schüler und Eltern, führen Interviews mit Eltern, Lehrern und der Schulleitung und setzen sich in den Unterricht. Heraus kommt ein rund 30 Seiten langer Bericht, der die Situation der Schule sowie ihre Stärken und Schwächen beschreibt und Empfehlungen gibt. Eine Akteneinsicht sei auf gar keinen Fall möglich, heißt es in dem Bescheid der Senatsverwaltung:

Stärken und Schwächen der Schule, der Schulorganisation, der Umsetzung des staatlichen Unterrichts- und Erziehungsauftrages, des pädagogischen Verhaltens, des Unterrichtsklimas, des Umgangs der Lehrkräfte mit den Erziehungsberechtigten, des Schulprogramms, der Entwicklung von Lehr- und Lernprozessen sollen unbefangen und ohne die Besorgnis, sich zu blamieren oder blamiert zu werden, erfasst und bewertet werden.
Nur wenn das Vertrauen besteht, dass die Schulevaluation sachbezogen und mit dem nachfolgenden Ziel der Optimierung der jeweiligen schulischen Situation durchgeführt wird, ist mit einer offenen und unbefangenen Mitwirkung zu rechnen. Fehlt dieses Vertrauen, so ist zu erwarten, dass die Situation geschönt dargestellt wird. Die Schulevaluation wird aber nicht im Interesse einer Selbsttäuschung durchgeführt, sondern um belastbare Fakten zu Tage zu fördern, mit deren Hilfe anschließend die Situation an der jeweiligen Schule im Interesse insbesondere der Schülerinnen und Schüler optimiert werden soll.
Die Bewahrung der zunächst vom ehemaligen Senator Böger zugesagten und von Herrn Senator Prof. Zöllner erneut betonten Vertraulichkeit der Ergebnisse der Schulevaluation ist demzufolge unverzichtbare Voraussetzung und ebenso unverzichtbares Mittel dieser Evaluation. Diese verfolgt nicht das Ziel, Schulen und schulisches Personal gegeneinander auszuspielen oder öffentlicher Kritik auszusetzen, sondern sie soll gerade umgekehrt die Grundlage für die nachfolgende Optimierung der jeweiligen schulischen Situation bilden.
Im Sinne dieser – unverzichtbaren – Vertraulichkeit und der daraus resultierenden Möglichkeit einer Verbesserung der Situation an der jeweiligen Schule ist das Interesse der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung an der Wahrung dieser Vertraulichkeit höher zu bewerten als das Interesse an der Information von Bürgern über die bisherigen Ergebnisse. (…)
Über diese auf den Willensbildungsprozess innerhalb der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung bezogenen Sachverhalte hinaus enthalten die Evaluationsberichte zu einem beträchtlichen Teil Informationen über Stärken und Schwächen einzelner Personen, namentlich der jeweiligen Schulleitungen, aber auch sonstiger reanonymisierbarer Personengruppen. Insoweit handelt es sich um schützenswerte personenbezogene Daten im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a des IFG.

Auch ein zweiter Antrag von mir wurde abgelehnt. In Berlin machen die Schüler aller Schulformen nach neun Klassen den Realschulabschluss („Mittlerer Schulabschluss“), die Aufgaben der Abschlussarbeiten sind landesweit identisch. Mich interessierte, wie die Schuler der einzelnen Schulen dabei durchschnittlich abschneiden. “Im Falle einer Gestattung der Einsichtnahme könnten die Lehrkräfte ,an den Pranger gestellt’ werden”, heißt es in dem Ablehnungsbescheid. „Da an den Schulen nur jeweils wenige Lehrkräfte ein Fach unterrichten, kann durch die Kenntnis der Einzelergebnisse problemlos auf einzelne Lehrkräfte geschlossen werden, die namentlich genannt und für Ergebnisse verantwortlich gemacht werden können. Ein vorschnelles Urteil über eine Lehrkraft möchte meine Verwaltung aber in jedem Fall verhindern”. Seien die Informationen „erst einmal der Einsichtnahme zugänglich gemacht, so können sie nicht wieder ‘zurückgeholt’ und unter Verschluss gebracht werden.“
Eine Einsicht in die Daten sei “rechtlich nur möglich und zulässig, wenn diese Schulen auf der Grundlage der Entscheidung ihrer Schulkonferenz ihre Ergebnisse veröffentlichen”, schrieb die Senatsverwaltung. Auch wegen des Datenschutzes der Lehrer müssten die Informationen unter Verschluss bleiben: “Die Reidentifizierung der Lehrkräfte lässt sich in Anbetracht ihrer geringen Zahl, die in Klassenstufe 10 das jeweilige vom Mittleren Schulabschluss betroffene Fach unterrichten, im Falle einer Einsichtnahme nicht vermeiden. Diesem Problem kann nicht, wie Sie es vorschlagen, durch Schwärzung begegnet werden. Vielmehr müssten sämtliche Lehrkräfte um ihr Einverständnis zur Einsichtnahme gebeten werden.” Es sei auch zu befürchten, dass es aufgrund der Daten zu vorschnellen Urteilen kommt: “Viel zu schnell werden oftmals Schlussfolgerungen gezogen, die Hintergründe und Umstände unberücksichtigt lassen.”
Jetzt will Zöllner plötzlich doch alles veröffentlichen: “Zur Standortbestimmung der Schulen und zur Elterninformation beabsichtigt Senator Zöllner in einem fairen Vergleich die Veröffentlichung der Ergebnisse von Vergleichsarbeiten, Schulabschlüssen und Schulinspektionsberichten”, heißt es in einer Pressemitteilung.
Von der Bildungsverwaltung wollte ich wissen, wie sie zu ihren Argumenten von vor zwei Jahren steht. In der Antwort werden die damaligen Argumente einfach für falsch erklärt: “Es ist weder damit zu rechnen, dass Schulen zukünftig ihre Situation geschönt darstellen werden, noch wird das Ziel verfolgt, ‘Schulen und schulisches Personal gegeneinander auszuspielen oder der öffentlichen Kritik auszusetzen’.” Wie die Bildungsverwaltung vor zwei Jahren zu der gegenteiligen Einschätzung kommen konnte, erklärt sie nicht. Mir drängt sich der Eindruck auf: Die Veröffentlichung war damals noch nicht politisch gewollt und daher hat man sich halt irgendwelche Argumente ausgedacht, die zu den im Informationsfreiheitsgesetz genannten Ausnahmen der Akteneinsicht passen. Jetzt ist die Veröffentlichung politisch gewollt und dann denkt man sich sich eben etwas anderes aus. Der ganze Vorgang spricht jedenfalls nicht dafür, dass die Senatsverwaltung mit dem Recht auf Informationsfreiheit sorgfältig und bestimmungsgemäß umgeht.
Mein Unbehagen gegenüber den Informationsfreiheitsgesetzen als Rechercheinstrument wird jedenfalls immer größer. Das Problem ist ja, dass es sich um ein Jedermannsrecht handelt, das allen Bürgern zusteht und nicht auf einem Grundrecht basiert. Die Verwaltung hat daher deutlich mehr Spielräume bei der Geheimhaltung von unangenehmen Informationen. Beim Auskunftsrecht für Journalisten nach Pressegesetz kann man sich dagegen auf sein Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 2 des Grundgesetzes stützen. Es gibt bei diesem Auskunftsrecht weniger Ausnahmen, und selbst die müssen noch mit dem Grundrecht der Pressefreiheit abgewogen werden. Die Verwaltung ist nicht so frei in der Wahl der Geheimhaltungsgründe und Gerichte haben mehr Möglichkeiten, für Transparenz zu urteilen. Das Presseauskunftsrecht bleibt für mich einfach das Auskunftsrecht mit dem schärfsten Schwert.
Nun noch zum Download als PDF die Bescheide der Senatsverwaltung aus dem Jahr 2008 mit der Ablehnung der Akteneinsicht in die Schulinspektionsberichte und in die Prüfungsergebnisse zum Mittleren Schulabschluss. Als Ergänzung auch noch die vollständige Antwort der Pressesprecherin Zöllners auf meine Anfrage, was ihre Verwaltung zu den Argumenten aus ihren Ablehnungsschreiben heute sage:

Sehr geehrter Herr Heiser,
die Überlegungen zur Veröffentlichung von Schulinspektionsberichten beziehen sich auf den Zeitraum ab dem kommenden Schuljahr 2011/12. Die erste Runde Schulinspektionen wird dann abgeschlossen sein; d.h. alle Berliner Schulen sind bis dahin inspiziert und die zweite Runde Schulinspektionen wird dann beginnen. Hinsichtlich dieser zweiten Runde findet eine konzeptionelle Überarbeitung statt, um aus den Ergebnissen der ersten fünf Jahre Schlussfolgerungen für ein möglicherweise zu modifizierendes Evaluationsverfahren und inhaltliche Schwerpunkte zu ziehen. Ob und inwieweit Absprachen und Einbeziehung betroffener Personengruppen im Zusammenhang mit der dann möglichen Veröffentlichung von Inspektionsberichten vorgenommen werden, ist bisher noch nicht endgültig geklärt.
Zweifelsfrei liegt hier jedoch kein Vertrauensbruch vor. Die von den Senatoren Böger und Zöllner gemachten Zusagen über die Vertraulichkeit von Inspektionsergebnissen in der ersten Runde Schulinspektionen wird eingehalten. Der erste Schritt zur Erfassung “Ist-Zustandes an den jeweiligen Schulen” hat eine offene und konstruktive Mitwirkung durch die Schulen erfahren. Tatsächlich hat eine Vielzahl von Schulen die Inspektionsberichte von sich aus auf ihren Homepages veröffentlicht. Und auch für die zweite Runde werden Rahmenbedingungen geschaffen, die eine vertrauensvolle Zusammenarbeit bei der Evaluation von Stärken und Schwächen der Schulen fördern. Es ist weder damit zu rechnen, dass Schulen zukünftig ihre Situation geschönt darstellen werden, noch wird das Ziel verfolgt, “Schulen und schulisches Personal gegeneinander auszuspielen oder der öffentlichen Kritik auszusetzen”. Auch zukünftig werden Inspektionsberichte keine Gesamtbewertung für die Qualität einer Schule ausweisen, sondern weiterhin starke und entwicklungsfähige Bereiche und Merkmale beschreiben. Als Instrument für ein Schulranking werden sich diese Berichte auch künftig nicht eignen.
Mit freundlichen Grüßen

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